km 4150 – Entschuldigung, fährt Ihr Boot vielleicht nach Georgien?

Ihr Lieben,

dass wir euch mal einen Reisebericht aus einem Bus verfassen würden, hätten wir nicht unbedingt gedacht. Aber wir wurden gewissermaßen dazu gezwungen, umzudenken und umzuplanen. Sind wir nach dem Biwak-Abenteuer über 800 km nach Süd-Osten ans Schwarze Meer gefahren, um von dort aus mit der Fähre drüber zu fahren, stellte sich nun in den beiden bulgarischen Küstenorten Varna und Burgas heraus, dass dies nun nicht mehr möglich sei. Vielleicht im August wieder. Ganz toll! 😦 Aber erstmal der Reihe nach…

Nach dem Biwak-Abenteuer brauchten wir noch einmal einen vollen Tag um alles wieder in seine gewohnte Ordnung zu bekommen. Dabei wurden auch gleich noch Dinge aussortiert und per Post in die Heimat geschickt – Gepäck minimieren haben wir mit Biwak sehr gut gelernt. Sehr viel leichter sind die Taschen aber trotzdem nicht geworden. Die warme Jacke für den Pamir muss im Gepäck bleiben.

Auf dem Weg aus Sibiu heraus halten wir nochmal am Laden von Gabor . Wir müssen mit ihm noch ein Foto machen! Und eigentlich auch mit Paul, aber den erreichen wir auf die Schnelle nicht. Meine Hydraulikbremse ist einige Wochen zuvor undicht geworden und die beiden haben sich diesem Problem während unserer Bergtour angenommen. Magura hat dazu noch eine neue Bremse gestiftet. Jetzt ist alles wieder in Ordnung und wir können die Tour fortsetzen. Vielen Dank an euch!!

Dann läuft uns Costin nochmal über den Weg! Mit vielen Wünschen und einer guten Routenempfehlung verabschieden wir uns herzlich von ihm, folgen seinem Tipp und schaffen es schließlich bis zum Fuße der Transfăgărășan. Keine 500 m über dem Meer machen wir es uns an einem kleinen Flüsschen mit gigantischer Aussicht auf die Berge gemütlich. Am nächsten Tag buckeln wir unsere Räder über 1500 hm bis zum Balea Lac hoch. Wobei… so viel Buckelei war es am Ende nicht. Ich will nicht sagen, dass es leicht war. Aber wie wir später am Abend noch gesagt bekommen – die Straße wurde von klugen Ingenieuren gebaut. An keiner Stelle steiler als 6 %. Fährt sich wirklich prima! An der Transalpina gab es hingegen längere Abschnitte mit 12-13 % .. das kostete schon deutlich mehr Kraft.

Die Geschichte der Transfăgărășan ist dennoch keine feine. Ab 1970 lies Ceausescu die Trasse von der Nord uns Südseite gleichermaßen vorantreiben. Vier Jahre später trafen sich die Bautrupps – die Straße war vollendet. Dass während des Baus jedoch hunderte Menschen ihr Leben ließen, wurde von offizieller Seite gern kleingeredet. Die Straße war – neben der militärischen Funktion – auch von vornherein touristischen Zwecken gewidmet. Der höchste Punkt liegt bei 2042 m. Dreiviertel des Jahres ist sie wegen Schnee unpassierbar. In unzähligen Serpentinen schlängelt sich die Straße sukzessive den Berg hoch. Eine Augenweide für meine Verkehrsplaneraugen 😊

Wir sind schon mächtig stolz auf uns, als wir oben angekommen sind. Die über 1500 hm sind bisher die größte geradelte Höhendifferenz an einem Tag. Bereits zu unserer Wanderung hatten wir uns eine schöne Ecke zum Zelten auf der Passhöhe rausgesucht, die auch auf Karten als Campingplatz ausgeschrieben war. Die Jandarmeria Română  – die Militärpolizei – war da anderer Meinung. Also noch zwei Premieren: Erster Konflikt mit der Exekutive und erster „Platzverweis“ mit unserem Zelt. Ich bin äußerst angesäuert von diesen Wichtigtuern. Costin hatte uns noch einen weiteren Tipp gegeben und so fragen wir an der alten Bergwachthütte – der Salvamont-Hütte, die keine 200 m entfernt war. Dort können wir bleiben. Kostet zwar einen kleinen Geldbetrag, dafür ist die Hütte aber auch echt genial. Klein, und doch riesig, gebaut an einem Fels und von außen rot-weiß-angestrichen. Die schönste Hütte bisher. Und auch die erste wo der Ofen wirklich mal funktioniert und auch genutzt wird. Aileen trifft Dan und Valentin an der Hütte. Die beiden helfen uns, unser ganzes Gepäck zur Hütte hochzutragen, denn hinfahren konnte man da nicht, geschweige denn hinschieben – viel zu steil war das Gelände. Wir verbringen den Abend mit den beiden und ihren Wanderfreunden im Fastfood-Zelt. Wenige Tage zuvor sahen wir dieses noch im Bauzustand, jetzt kann man hier lecker Speckschwarten oder ordinär fettige Mici-Würste schnabulieren. Unsere Begeisterung hält sich in Grenzen. Wenigstens das Dosenbier war lecker. Haben wir uns auch verdient.

Bergabfahren geht immer viel zu schnell. Nicht, dass es keinen Spaß macht, schnell zu fahren – ganz im Gegenteil. Für die 1500 hm bergauf haben wir fast den ganzen Tag gebraucht. Die ersten 500 hm bergab sind eine Sache von Minuten. Spaß und Wehmut gehen hier Hand in Hand. Die Südabfahrt der Transfăgărășan sollte dennoch nicht nur eine Sache von Minuten werden. Auf gut 35 km fährt man am Lacul Vidraru-Stausee immer wieder auf und ab – und hat dabei nicht wirklich das Gefühl vorwärts zu kommen. Da wir hier bereits mit Biwak mit dem Auto unterwegs waren, wissen wir schon was auf uns zukommt. Es zieht sich. Und auch die Stelle, wo der Bär gesichtet wurde, ist uns nicht mehr ganz so geheuer.

Es ist allerdings Wochenende, die Sonne scheint und die Temperatur steigt auf über 30°. Drei Tatsachen, die viele Rumänen zum Anlass nehmen, einen kleinen Kurzurlaub einzulegen. Und was macht man auf so einem Kurzurlaub? Man fährt mit Frau, Oma, Opa, Tanten, Onkels, allen Bekannten, sowie deren gesamten Kindern und einem Grill auf die Transfăgărășan zum Lacul Vidraru und macht dort ein schönes Picknick. Dass man durch den dichten Baumbewuchs eigentlich an keiner Stelle den See so wirklich sehen kann und dass es auch keine wirklichen Flächen für Picknick-Pausen gibt, scheint dabei niemanden so recht zu stören. Auto an den Straßenrand, Decke direkt daneben in den Dreck geworfen und 2 m neben der nicht unerheblich stark befahrenen Straße hingefläzt. Grill an. Und am besten gleich noch ein Lagerfeuer dazu. Der knochentrockene Wald stellt ja gutes Brennholz. Aus dem Auto plärrt dazu die typische rumänische Volksmusik. „Ist aber auch wirklich schön hier!“, denken wir uns und ziehen schmunzelnd vorüber.

Jetzt sind wir also in der Walachei. Das Gelände wird mit Gewalt flacher und ehe wir uns versehen sind plötzlich die Berge weg. Ackerland soweit das Auge reicht. Die Landschaft wird deutlich unspektakulärer, durch die Hitze und die brüllheiße Sonne zudem immer karger. Dafür können wir aber ordentlich Strecke machen. Bei der abendlichen Zeltplatzsuche geraten wir im Dorfkonsum eines kleinen Ortes irgendwie an einen Priester. So richtig versteht uns wieder mal keiner, doch unser gelernter rumänischer Satz „Dürfen wir auf ihrem Grundstück zelten“ sitzt inzwischen so gut, dass der Groschen doch schnell fällt. Und so kommt der Priester auf uns zu und bietet uns einen Platz an seiner Kirche an. Sowas hatten wir noch gar nicht. Nun sind wir beide nicht gläubig – so ist das halt als DDR-Kind – aber wir hoffen, dass dies kein Problem darstellt. Er zeigt uns seine Kirche und vertraut uns auch direkt den Kirchenschlüssel an. Als er dann auch noch anfängt in seiner Kirche aus vollstem Herzen zu singen, sind wir restlos baff.

Wir fragen später noch nach Wasser. Sofort ruft der Priester zum Nachbarn rüber, ob er nicht mal schnell welches besorgen könne – 5 Minuten später kommt dieser mit einem großen Wasserkanister zu uns. Echt genial. Wir wollen schnell noch essen, bevor die Mücken in der Dämmerung wieder rauskommen, da kommt der zwischenzeitlich verschwundene Priester nochmal um die Ecke. „Hello Mister“ ruft er. Ich eile zu ihm. Irgendwo hat er eine Rose vom Strauch gerupft und drückt sie mir für Aileen in die Hand 😊 Außerdem hat er noch zwei Beutel dabei. Er war doch tatsächlich nochmal im Dorfkonsum einkaufen und hat uns leckersten Käse, Salami, Oliven, Brot und was zu trinken besorgt. Außerdem eine Rolle Klopapier. Er hat wirklich an alles gedacht!

Gut anderthalb Tage später stehen wir in Russe an der bulgarischen Grenze. Die Donau ist hier mehrere Kilometer breit. Gigantisch! Kaum sind wir in Bulgarien, treffen wir auch schon auf die ersten Radfahrer. Wider unserer Erwartung fahren sie nicht an der Donau entlang, sondern radeln von hier aus nach Hause – nach Wroclaw. Ganze 10 Tage haben Sie dafür Zeit. Sehr sportlich! Wir kurbeln hingegen gemächlich aus Russe raus und suchen uns eine kaum befahrene Landstraße, die uns Richtung Osten bringen soll. Duschen wäre mal wieder gut, denken wir uns bei einer der unzähligen Eispausen, die wir machen (müssen), um es bei weit über 30 Grad auszuhalten. Wir sind in einer Region unterwegs, die nicht unbedingt von sich behaupten kann, touristisch gut erschlossen zu sein. In 25 km soll es eine Unterkunft geben, verkündet unser Handy. Kein besonderer Standard (den brauchen wir auch nicht), dafür aber mit Dusche. Gebucht! Als wir später in dem Ort ankommen, müssen wir uns ganz schön durchfragen. Die allgemeine Dorfmeinung tendiert zu „den Laden gibt es nicht mehr“. Es führt uns aber doch noch jemand direkt zu besagter Unterkunft. Tatsächlich alles zu. Mist! Zurück ins Dorf… Schließlich dürfen wir bei einer sehr netten Frau übernachten. Nicht im Zelt, sondern im Haus. Ein Schlafzimmer wird schnell für uns hergerichtet, wir dürfen uns duschen, waschen bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Sachen und werden schließlich zum Abendbrot eingeladen. Bulgarischer Sirene-Käse, Oliven, Salami und Brot. Dazu Limo und ein Schluck Whiskey. Wir sind angekommen im neuen Land. Land Nummer 7 übrigens…

Bulgarien ist nun auf unserer Reise auch das erste Land, in dem unsere Kommunikationsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Einerseits kann ab sofort nur noch Aileen alle Schilder und Aufschriften ohne größere Probleme lesen – ich muss das kyrillische Alphabet erst noch verinnerlichen und brauche ewig, um ein Wort zu entziffern. Unsere Kommunikation mit den Menschen basiert zudem zu gefühlt 70 % auf Mimik und Gestik – und das funktioniert nun auch nur noch eingeschränkt, denn für ein Ja wird hier nun der Kopf geschüttelt, und zu einem Nein wird genickt. Völlig verrückt! Da wir aber davon ausgehen, dass jeder Bulgare sich darüber im Klaren sein dürfte, dass sein Land wohl das einzige ist, welches diese verdrehte Gestik anwendet, sind wir uns bei einem Kopfschütteln nie sicher, ob nun tatsächlich „ja“ oder „nein“ gemeint ist. Die Bulgaren lächeln immer so verschmitzt dabei, als wüssten sie genau, dass wir dadurch erst recht völlig verunsichert werden. Noch schlimmer ist es, diese für uns falsche Gestik selbst zu übernehmen. Nach wenigen Tagen geben wir auf und verzichten gänzlich auf Kopfbewegungen beim Ja und Nein sagen (was aber auch nicht so einfach ist). Aber lustig ist es allemal 😊.

Das Gelände bis zum Schwarzen Meer ist auf bulgarischer Seite deutlich fordernder als auf rumänischer Seite. Ein langgezogener Anstieg folgt auf den Nächsten. Sind wir oben, geht’s drei Minuten runter und das Spielchen beginnt wieder von vorn. Doch wir können uns an der herrlich welligen Landschaft auch einfach nicht satt sehen. Ein bisschen wie Siebenbürgen, nur dass es da grüner und die Berge steiler und höher waren. Die vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Flächen hier in Nordbulgarien strahlen dagegen in den verschiedensten Farben. Riesige gelbe Sonnenblumenfelder, goldgelbe Getreidefelder, sattgrüne Maisfelder und leuchtend violette Lavendelfelder wechseln sich ständig ab und werden hin und wieder durch einen kleinen Wald unterbrochen. Richtig schön anzusehen.

Schließlich erreichen wir in Baltschik das Schwarze Meer. Ein sehr erhebender Moment, wird uns so langsam bewusst, dass wir nun doch schon einige cm auf der Europakarte hinter uns haben. Nun sind wir da, wo Bulgaren, Rumänen, Ukrainer und Russen ihren Badeurlaub verbringen. Im Gegensatz zur touristischen Infrastruktur der letzten Tage ist es hier kein Problem eine Unterkunft zu finden. Auch freuen wir uns, dass es tatsächlich einen Weg direkt am Wasser gibt. Eine tolle Alternative zur sonst vielbefahrenen Küstenhauptstraße. Leider hat jedoch die Brandung dem Weg abschnittsweise ganz schön zugesetzt. Die riesigen Betonplatten wurden unterspült und sind in der Folge gebrochen. Erstmals müssen wir die Taschen abbauen und alles einzeln tragen um einige besonders zerklüftete Passagen passieren zu können. Leute kommen uns entgegen. Keiner macht uns wirklich Mut. Es soll noch ein Abschnitt kommen, der durch einen Erdrutsch unpassierbar geworden ist. Zu Fuß sei die Querung wohl möglich, doch keinesfalls mit zwei schwerbepackten Rädern. Andererseits haben uns aber auch schon 2 Radfahrer überholt. Und die kamen auch nicht zurück. Wir legen es darauf an.

Um überhaupt zur Erdrutschpassage zu gelangen mussten wir noch einige Male alle Taschen abbauen, alles einzeln tragen und einige Meter weiter wieder an die Räder bauen. Am Erdrutsch sehen wir nun ziemlich schnell, was die anderen meinten. Erinnert ein bisschen an unsere Făgăraș-Tour. Vom eigentlichen Weg ist keine Spur mehr zu sehen. Nur ein kleiner Trampelpfad führt steil den Berg hoch. Der Lehmboden ist knochentrocken und steinhart. In Sandalen ist das schon sehr grenzwertig zum Laufen, aber wir versuchen es. Ich schnappe mir 2 Taschen und gehe auf Erkundungstour. Der Erdrutsch ist deutlich größer als erwartet, der Weg ist stellenweise gefährlich steil und rutschig. Also besser öfter laufen und dafür mit weniger Gepäck. Nach einigen Minuten Laufen ist immer noch kein Ende in Sicht. Wie von Biwak gelernt, wird erstmal ein Depot angelegt und das restliche Zeug in mehreren Durchgängen nachgeholt. Anschließend müssen alle Taschen über den weiteren Teil dieses riesigen Erdhaufens bugsiert werden. 38 Grad. Sonne. Uns läuft die Suppe! Zu guter Letzt noch die Fahrräder. Jeweils immer eins auf die Schultern und dann langsam durchs Gelände tasten. Insgesamt waren es vielleicht 800 m Weg, die wir unter größter Kraftanstrengung bezwungen haben. Gebraucht haben wir dafür aber mehr als eine Stunde. Wir sehen es als Pamir-Training 😊

In Albena – einem großen Badeort nördlich der Goldstrandküste fahren wir schließlich auf einen Campingplatz, der kein solcher mehr sein will. Man vermittelt uns, dass sich das mit dem Zelten wohl nicht so durchgesetzt hat und man nur im Bungalow schlafen kann. Während Aileen hartnäckig die besten Konditionen für uns aushandelt, wandert mein Blick über das Gelände. 3 große blockartige Hauptgebäude, davor ein großer Betonhof. Auffällig viele Kinder und Jugendliche sind hier unterwegs. Eigentlich ausschließlich Kinder und Jugendliche. Wir sind in einem Ferienlager – oder wie es am Hauptportal auf dem Schild steht: „детский лагерь“ – einem „Kinderlager“! Vorwiegend russische Kinder verbringen hier ihre Ferien und werden von allerhand Animateuren ganztägig bespaßt. Direkt an das Lager grenzt die Bungalowsiedlung, wo wir untergebracht sind. Wir lassen es uns natürlich nicht nehmen, am heutigen Kinder- und Jugendkulturprogramm am Abend teilzunehmen und amüsieren uns köstlich.

Da uns der Küstenweg aufgrund des zuvor Erlebten nun zu heiß geworden ist, fahren wir Richtung Varna größtenteils auf der großen Hauptstraße. Kein Spaß. Dafür sind wir aber zügig am Ziel. Eine wirklich schöne Stadt. Zwar gibt es extrem viele Touristen, aber auch einen tollen Stadtstrand mit vielen Bars, einem schönen Park mit hübsch gemusterten Blumenbeeten direkt an der Küste und eine super entspannte Innenstadt. Urlaubsatmosphäre. Gefällt uns so sehr, dass wir uns entscheiden hier zu bleiben. Ganz abgesehen davon, dass wir für knapp 13€ ein ziemlich zentrumsnahes Zimmer ergattern konnten. Perfekt.

Der Besuch bei der Touristeninformation in Varna ist der erste stimmungsmäßige Dämpfer unserer Tour. Wir wussten bereits durch unsere Recherchen im Vorfeld, dass von Varna eh keine Fähre fährt. Die Frau in der Touri-info war aber so nett und hat für uns bei der Fährgesellschaft in Burgas angerufen, mit der wir geplant hatten nach Georgien zu fahren. Antwort: Fähre kaputt, neue Fähre nimmt nur Lkw und Fracht mit. Verdammt! Wir eruieren mögliche Alternativen, sind aber emotional erstmal so aufgeladen, dass wir nichts Sinnvolles finden. Deshalb entscheiden wir uns, nochmal vor Ort zu fragen. Irgendwas wird sich schon ergeben. So radeln wir 2 Tage lang nach Burgas. 2/3 des Weges davon auf der vielbefahrenen Küstenhauptstraße, die kurz hinter Varna sogar mal für einige km zur Autobahn wird. Autobahnprämiere! Der Autobahnabschnitt fuhr sich auch mit Abstand am angenehmsten (Standstreifen = Radfahrstreifen). Die übrigen Straßenabschnitte waren ohne Stand- oder Randstreifen. Viel Verkehr, wenig Spaß. Wir haben überlebt!

Burgas ist nicht mehr ganz so hübsch wie Varna. Mehr Hafenstadt, mehr Industrie und gefühlt weniger Touristen. Die sind alle am berühmten Sonnenstrand nördlich von Burgas. Wir mieten uns zwei Nächte in ein Hostel ein, denn eine Lösung für unser Fährenproblem muss her. Wir steuern am nächsten Morgen direkt zur Fährgesellschaft. Die normale Fähre fahre nicht mehr, die neue Fähre fahre noch nicht und die derzeit gemietete Ersatzfähre darf nur Fracht befördern. Keine Chance da drauf zu kommen. Verdammt. Doch innerlich hatten wir damit schon gerechnet und die halbe Nacht bereits nach Alternativen recherchiert und einen Plan B erarbeitet.

Da nun weder von Varna, noch von Burgas irgendwas übers Schwarze Meer fährt und wir keine Lust haben, von Istanbul einfach zu fliegen, entscheiden wir uns für den Weg über die Ukraine. Hätten wir das mal eher gewusst. Wir buchen 2 Tickets ab Odessa nach Batumi. Die nächsten Fähren fahren am 12.07. und am 16.07.2017. Da wir nicht den Ansatz einer Vorstellung haben, wie lange wir bis nach Odessa benötigen, buchen wir vorsichtshalber die spätere Fähre. 10 Tage, um von Burgas nach Odessa zu kommen. Auf dem Landweg irgendwas zwischen 800 und 1000 km. Wenn wir aber schonmal da sind, wollen wir auch ein paar Tage in Odessa bleiben. Das Zeitfenster, die Strecke komplett zu radeln ist also relativ klein und geht auch nicht mit unserer Einstellung möglichst ohne Zeitdruck fahren zu wollen konform. Wir buchen daher für den nächsten Tag einen Bus zurück nach Varna. Fahrräder seien überhaupt kein Problem und werden mitgenommen, so die Dame am Ticketschalter. Der Bus hat dann aber ein derart kleines Gepäckfach, dass unsere Räder nicht reinpassen. Verdammter Mist! Ich bin übelst genervt und versuche übers Handy alternative Wege nach Varna zu finden. Selber mit dem Rad fahren fällt aus. Das wäre die gleiche verkehrsreiche Strecke, wie wir sie gekommen sind, und die war nicht unbedingt so toll. Aileen nimmt die Sache etwas lockerer und verscherbelt am Bus erstmal schnell wieder unsere Tickets. Das Handy spuckt unterdessen eine Alternative aus. In wenigen Minuten gehe wohl ein Zug vom nebenan gelegenen Bahnhof. Ohne Tickets steigen wir ein. Die Schaffnerin ist mit der Situation zunächst sehr überfordert, stellt uns aber schließlich Tickets aus. Gut 5h Zugfahrt durchs bulgarische Hinterland in alten Reichsbahnwagen. Komfortabel, gemütlich und landschaftlich sehr reizvoll.

Zwischenstopp in Varna. Wir landen hier in einem Hostel, wo der Raum exakt so groß ist wie das Bett + gut 70 cm Luft am Fußende bis zur Tür. Es haben noch nicht mal alle Taschen hingepasst – unser Zelt kommt uns da schon etwas größer vor. 😊 Am Busbahnhof in Varna klappert Aileen nun mit einer Engelsgeduld eine Busgesellschaft nach der anderen ab und holt Preise ein. Unser Plan war, mit dem Bus bis Galaţi – kurz vor die Rumänisch-Moldawische Grenze zu fahren um von da aus die restliche Strecke durch Moldawien und die Ukraine per Rad zurückzulegen. Beim Angebote einholen stellte sich diese Idee jedoch als wirtschaftlich völlig schwachsinnig heraus. Varna – Odessa kostet inkl. Transport der Räder 89 €. Bis Galaţi – immerhin nur 2/3 der Gesamtstrecke –  sind es noch satte 85 €. Wir überlegen nicht lang und buchen bis Odessa.

Nach der Busaktion in Burgas bleibt bei uns dennoch etwas Restunsicherheit wegen des Fahrradtransportes. Diesmal jedoch völlig unberechtigt. Die beiden Busfahrer haben für uns ein ganzes Gepäckfach freigehalten und wir können unseren ganzen Rassel dort bequem einsortieren. Der Bus ist zum Glück gerademal halbvoll, sonst hätte das womöglich anders ausgesehen. 13:00 ist Abfahrt im guten alten Setra-Bus. Ich will nicht wissen, wie viele hunderttausend Kilometer das Teil vorher schon durch Deutschland geschaukelt ist. Und jetzt rattert er über die übelsten Pisten im Osten. Das Klo ist natürlich defekt. Aber es sind ja auch nur 17 – 19 Stunden Fahrt. Aus den versprochenen Stopps an irgendwelchen Restaurants wurde auch nix. Die einzigen Pausen fanden eigentlich nur an den Grenzen statt. Auch nicht schlimm. Die Bulgarisch-Rumänische Grenze war schnell erreicht und nach einer halben Stunde Grenzkontrolle auch passiert. Prompt wurden die Straßen schlechter. Wir mögen Rumänien ja inzwischen wirklich sehr und freuten uns auch wieder da zu sein, doch dieses Geschaukel auf den Straßen ist wirklich übel. Ich staune über mich selbst, wie lange ich es schaffe diesen Beitrag hier zu verfassen, bevor ich aufgrund zunehmender Übelkeit dann doch abbrechen musste. In Odessa ist ja auch noch Zeit zum Schreiben …

Galaţi erreichen wir am späten Abend. Beim Anblick der unzähligen Schlote des gigantischen Industriegebietes sind wir froh, hier abends halb 11 nicht aussteigen zu müssen. Über Nebenrouten wird nun ein kleiner Grenzübergang weiter im Norden angefahren. Im Gegensatz zu den bisher gesehenen Grenzen merkt man hier dann doch noch eine höhere Sicherheitsstufe. Wir verlassen die EU und bekommen (für uns in diesem Moment völlig unerwartet) unseren ersten Stempel in unsere noch jungfräulichen Reisepässe gedrückt. Und diesen auch noch ganz ordentlich auf die erste Seite ganz oben. Keine Stunde später dann das gleiche Spielchen nochmal. Die ukrainischen Grenzer machen mit ihrem Stempel allerdings nicht so einen Zinnober. Pass irgendwo aufgeschlagen, Stempel reingedonnert, fertig. Bei Aileen haben sie die Seite nur gerade so getroffen, mein Stempel ist kaum zu entziffern. Aber gut .. wir sind jedenfalls drin!

Das Geschaukel wird seit der Moldawischen Grenze immer schlimmer. Jetzt kommt zum Auf- und Ab des Busses durch die Wellen und Schlaglöcher im Boden auch noch ein enormes Hin und her dazu. Denn die Schlaglöcher sind hier selbst auf den großen Landstraßen von teils gigantischem Ausmaß, dass es der Fahrer doch lieber vorzieht den Kratern auszuweichen. Doch das ist noch lange kein Grund, das Tempo zu drosseln. Achterbahn! Und das früh halb 2. Wir versuchen zu schlafen, was aber auch kaum geht, da im Bus seit Stunden eine ultrabillig produzierte russische Boxer-Serie auf ohrenbetäubender Lautstärke läuft. Irgendwann ist aber Ruhe. Endlich.

Aileen rüttelt mich wach. Es ist hell und im Bus herrscht Aufbruchstimmung. Wir stehen am Busbahnhof Odessa. Die Türen sind auf, doch keiner steigt aus. Enttäuschung zeichnet sich in den gierigen Gesichtern am Bussteig ab. Im Netz habe ich doch zuvor zufällig entdeckt, dass man – steigt man am Busbahnhof Odessa aus – eine Gebühr von 150 $ pro Nase zahlen darf. Wofür die Gebühr sein soll, wird verschwiegen. So fahren auch wir weiter mit und landen schließlich am prunkvollen Gebäude des „вокзал“ – Hauptbahnhofes. Morgens kurz vor 6, nach 17 h Busfahrt. Eigentlich sind wir ganz schön im Eimer, aber im Licht der aufgehenden Sonne zieht es uns trotzdem zuerst an den Strand. Wir kochen uns einen Kaffee und genießen die morgendliche Ruhe bei einem kleinen Frühstück. Was für ein Ritt!

So. Nun sind wir also in der Ukraine. Ein Land, welches wir eigentlich schon im Mai aufgrund unserer Reiseroute abgeschrieben hatten. Hier merken wir schon deutlich mehr, weiter im Osten zu sein. Die Leute wirken hier aufgrund ihrer Sprache, bzw. ihrer Aussprache häufig etwas „derber“, machen aber optisch enorm viel her. Der typische Weißbrot+Limo-Bauch (wir nennen ihn liebevoll „Pane-Ranzen“) ist hier nicht mehr so omnipräsent wie in Rumänien und Bulgarien. Die Leute, insbesondere die Frauen sehen sehr gepflegt und trainierter aus. Die Straßen sind hingegen teilweise brutal im Eimer. Riesige Schlaglöcher, abgeknickte Oberleitungsmasten der Straßenbahn, die nur noch von einem Ast gehalten werden und immer noch in Betrieb sind.  Mehr als 40 Jahre alte Autos, vornehmlich Mossis und Ladas, diese teilweise auch noch tiefergelegt oder anderweitig aufgemotzt, bieten sich auf den überbreiten Straßen an jeder Ampel heiße Rennen mit dicken Edelkarossen der Marken Mercedes und BMW. Auch total gängig: Autos ohne Stoßstangen. Die sind wohl mal irgendwann abgefallen. Mit ukrainischem Pragmatismus wird das Nummernschild dann einfach ungefähr da an die Karosserie gebohrt, wo es gehangen hätte, als die Stoßstange noch Teil des Fahrzeuges war. Sehr oft müssen wir schmunzeln …

Eine Reihe von Touren haben wir hier bereits hinter uns. Radfahren macht in Odessa echt keinen Spaß. Der Verkehr gibt uns definitiv stark zu denken. Nicht nur, dass die Karren allesamt stinken und enorm viel Dreck rausschleudern – es wird auch wirklich gefahren, wie man es bei YouTube aus diesen „only in russia“-Videos kennt. Dagegen fahren die Rumänen und Bulgaren noch äußerst rücksichtsvoll und zurückhaltend.

Dennoch konnten wir uns in den paar Tagen, die wir hier nun nochmal pausierten, ein kleines Bild machen. Zu klein ist dieses noch, um hier mit großen Schlussfolgerungen über die Ukraine um sich zu werfen – dafür müssen nochmal wiederkommen. In Odessa gefielen uns besonders die vielen neu hergerichteten Fassaden, vor deren prunkvoller Ausdrucksstärke man sich regelrecht klein fühlt. Odessa macht sich hübsch und will beeindrucken. An vielen Ecken wird gebaut. Alte Häuser werden neu hergerichtet, an anderen Ecken entstehen Super-Luxus-Hochhäuser mit Meerblick. An der Küste entstanden in den letzten Jahren eine Vielzahl schöner Parks, sowie eine Art „Meile der Gesundheit“ – so wird die mehrere Kilometer lange Küstenstraße genannt, die Radfahrern und Fußgängern vorbehalten bleibt. Hier gibt es eine nicht geringe Zahl kostenlose Fitnessparks, einige davon sogar behindertengerecht ausgebaut. Klettergerüst für Erwachsene quasi. Wobei wir immer wieder sehen können, wie Kinder, Bodybilder und Rentner gleichermaßen sich in diesen Parks tummeln. Jeder respektiert den anderen. Wirklich sympathisch.

Wir treffen auf dieser tollen Küstenstraße schließlich auch auf Oleg. Er lässt gefühlt erstmal alles stehen und liegen und schlendert eine ganze Weile mit uns über den Boulevard, gibt uns noch wertvolle Tipps für die Stadt und führt uns schließlich noch zu seinem Lieblingsrestaurant. Wir sind sehr begeistert, wieviel Zeit er sich für uns genommen hat. Auch am nächsten Tag werden wir wieder an der Küstenstraße angesprochen und können mit unserer Tour begeistern. Wirklich schön 😊

Ihr seid jetzt auf jeden Fall auf dem aktuellen Stand. Sorry, dass es diesmal etwas länger gedauert hat und ihr infolge dessen nun mit 2 sehr ausführlichen Berichten erschlagen werdet. Könnt ihr euch ja einteilen 😊 Bei uns dauert‘s sicher wieder ein Weilchen, bis wir uns dann aus dem Kaukasus zu Wort melden…

Lasst es euch gut gehen und genießt den Sommer!

… und drückt mal die Daumen, dass unser Kahn diesmal auch tatsächlich fährt.

Eure Radfahrer

 

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6 Kommentare zu „km 4150 – Entschuldigung, fährt Ihr Boot vielleicht nach Georgien?

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  1. )Hallo Ihr Beiden!
    Mit Freude habe wir den neuen Bericht gelesen, die tollen Bilder angeschaut und wieder über Eure Erlebnisse gestaunt. Die Bilder sind Euch wirklich gut gelungen. Wir lernen dadurch auch die Länder kennen. Was Ihr an körperlicher Kraft aufwendet ist unfassbar. Hoffentlich bleibt Ihr gesund. Wir drücken die Daumen für Euch, dass alles weiterhin gut geht. Liebe Grüße von Opa und Oma aus Beeskow.

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  2. Hallo Ihr Zwei . Wir wünschen Euch, das ihr trockenen Fußes in Georgien ankommt. Auch wir waren biken, allerdings deutlich schneller als Ihr. Wir schafften 568 km in 50 Stunden, allerdings auch ohne wesentliche Berge. Ach so , natürlich auch mit Motorkraft und der kleinen Schwarzen 🙂 Wir drücken Euch weiter die Daumen und wünschen Euch noch viele nette Bekanntschaften am Wegesrand. Passt auf Euch auf. Habt Ihr denn Euer Bergfest zünftig gefeiert? Alles Gute und bis bald mal wieder. Anke und Papa

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  3. Hallo ihr zwei Multisportler,
    bin jetzt endlich dazu gekommen, eure beiden letzten Beiträge (Biwak-Wanderung und eure Irrfahrt in Bulgarien in einem Lesemarathon zu verfolfen und kann euch nur sagen: „Was für eine geile Tour!!“
    Hab mit euch gefühlt, als ihr euch mit schwerem Rucksack über Kletterpassagen geschunden habt, denn die Erfahrung konnte ich kurz vor meiner Achillessehnen-OP bei meinem Kurzurlaub im Zugspitzgebiet auch machen, dass da jedes Gramm zählt.
    Lasst euch nicht durch „Unregelmäßigkeiten“ beim Tourenverlauf von eurem entspannten Weg abbringen. Yvon Choinard:“Abenteuer geschehen, wenn Dinge schief laufen.“
    …Und dafür seit ihr unterwegs.
    Ich drücke euch ganz fest und wünsche euch noch unzählige solch herzliche Begegnungen mit „fremden“ Menschen
    Jens

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  4. Juhuuu, es ging ein Boot nach Georgien 🙂
    So …nun haben wir es auch endlich mal geschaft, Euch für die wie immer toll geschriebenen und bebilderten Berichte zu danken. Wirklich viele coole Touren (oder „übelste“, wie Lars schreiben würde), die ihr schon hinter euch gebracht habt.
    Habt weiterhin jede Menge Spaß und nochmehr schöne Erlebnisse auf Eurem Weg in die asiatischen Weiten mit netten herzlichen Menschen und möglichst wenig Reifenpannen :-).
    Auf bald und LG von Anni und Martin aus LE

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  5. Hallo Aileen und Lars,
    Sehr spannend Eure Abenteuer.Ich lese die Reiseberichte mit Begeisterung denkt mal drüber nach einen Reisebericht zu veröffentlichen mit den tollen Fotos dazu.Opas 90. Geburtstag ist nun auch wieder Geschichte und dank Eures kleinen Grusses ward Ihr auch Gesprächsstoff. Alle sind begeistert und voller Ehrfurcht,über Euren Mut.Hier ist es Momentan recht warm . Seit herzlich gegrüßt,bleibt gesund und passt auf Euch auf
    Euer altes Tantchen 😃😃

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