Mit BIWAK ins Făgăraș-Gebirge

Die letzten Nieseltropfen laufen uns übers Gesicht. Der erste Regen seit x Tagen. Und das ausgerechnet heute! Na toll. Wir fahren auf einer kleinen, kaum befahrenen Straße nördlich von Sibiu. Leichte Nervosität macht sich in uns breit. Schon oft haben wir in den letzten Wochen über diesen Tag nachgedacht. Bleiben wir cool, oder sind wir vor Aufregung völlig daneben? Kurzer Blick aufs Handy – „… so verhalten, als wären wir allein…“. Es wird Ernst.

Da sind sie! Das freundliche „Gesicht“ des alten Robur taucht am Ende der Straße auf, kommt näher und fährt an uns vorüber. Wenige Augenblicke später folgt noch ein Transporter. Wars das jetzt schon? Natürlich nicht. Wir fahren weiter. Der Robur überholt uns und zieht wieder von dannen, während der Transporter hinter uns langsamer wird und fortan in gleichem Tempo neben uns herfährt. Die Schiebetür ist offen und im Augenwinkel sehen wir eine Fernsehkamera. Wie soll man sich da denn bitte so verhalten, als wäre niemand da??? Eine sehr skurrile Situation. Das Ganze zieht sich über mehrere Minuten hin. Mal fährt der Transporter etwas voraus, mal etwas hinterher, mal steht er am Straßenrand. Die Kamera ist immer auf uns gerichtet. Für uns nicht unbedingt alltäglich. Nach einiger Zeit taucht der Robur wieder auf. Ein paar Leute stehen drumherum, die Kamera ist schon aufgebaut und der Tonmann steht mit einem riesigen Mikrofon daneben. Ach du Kacke! Jetzt wird’s wirklich Ernst! Die Coolness ist plötzlich doch leicht entschwunden…

Thorsten begrüßt uns herzlich. Wir haben uns im Vorfeld bereits ein paar Mal getroffen, sodass sofort eine vertraute und freundschaftliche Atmosphäre beim Wiedersehen vor der Kamera herrscht. Ein paar erste Worte, ein paar Sätze zu unserem Vorhaben – am Ende ging alles ganz schnell und war gar nicht so schlimm. Wir sind nun Teil des MDR-BIWAK-Magazins und haben die große Ehre, das BIWAK-Team auf der Făgăraș-Überschreitung begleiten zu dürfen. Sowas passiert eben, wenn man einfach mal nen Kommentar unter einen Facebook-Eintrag von Biwak schreibt 😊 In den kommenden Tagen werden unsere Räder nun erstmal ruhen und wir werden stattdessen unsere Sachen im Rucksack auf die höchsten Berge Rumäniens buckeln. Wir sind sehr gespannt. Zunächst heißt es aber erstmal Namen lernen.

Die Gruppe besteht nun aus: Thorsten (Biwak-Moderator), Arne (stolzer Robur-Besitzer), Dieter (Reiseleiter von Wild Ost-Reisen), Holger (Fotograf, Stativ-Schlepper, Yogalehrer), Jens (Kameramann) und Johnny (Tonmann). Alle aus Sachsen, fast alle aus Dresden. Ein Fest für meine Ohren mal wieder heimischen Dialekt zu hören! Arne drückt Thorsten die Robur-Schlüssel in die Hand und begleitet uns ein ganzes Stück auf dem Rad. Wir lernen schnell, dass Arne offenbar so ziemlich alles für jede Situation irgendwo in seinem Robur hat, und so ist natürlich auch ein Rad für spontane Fahrradtouren mit zwei dahergeradelten Reiseradlern mit an Bord. Genial!

 

Wir wohnen alle in der gleichen Unterkunft, wo wir bei unserer Wiederankunft auch noch das letzte BIWAK-Mitglied – Frank Meutzner – treffen. Jetzt ist die BIWAK-Bande komplett und wir lernen uns bei dem einen oder anderen Hopfenwasser etwas besser kennen. Eine geniale Truppe. Jeder für sich ein Unikat! Alle ein bisschen durchgeknallt. Genau unser Menschenschlag.

Bevor es in die Berge geht, verbringen wir noch 2 Tage mit diversen Vorbereitungen. Meutz hilft uns bei der Gepäckoptimierung. Steigeisen werden an die Schuhe angepasst, Tütennudeln aus dem Supermarkt gebunkert. Tütennudeln. Ach du Kacke! Wir kochen normalerweise immer recht reichhaltig und haben bislang die meiste Zeit eigentlich auch immer ein paar Kartoffeln und Zwiebeln, sowie etwas Knoblauch für die schnellen Bratkartoffeln zwischendurch einstecken. Und nun sollen wir Tütensuppen futtern und auch noch Leistung bringen. Oh je. Aber gut – das Argument des erheblich geringeren Gewichtes ist unschlagbar und wir sehen uns mangels Erfahrung auf dem Gebiet auch nicht in der Position ernsthaft zu wiedersprechen. Wenn wir unseren sonstigen Kalorienverbrauch sehen rechnen wir am besten mit 3 Tütensuppen pro Mahlzeit! Da fällt allen die Kinnlade runter- „so wird das nichts in den Bergen, bei dem Verbrauch!“

Ach ja. Und dann war ja noch Theaterfestival in Sibiu. Hauptattraktion an jedem Abend waren die Geschwister Weisheit – eine Hochseilartistentruppe aus Gotha. Wir waren schon mal in Gotha. Sogar mit dem Fahrrad. Aber um Alexander Weisheit auf seiner „schwingenden Stahlpeitsche“ zu sehen, mussten wir bis ins ferne Rumänien radeln 😊 Die anschließende Parade aus leuchtenden Riesenfischen des französischen Theaters war aber nicht weniger sehenswert.

 

Es ist ein Sonntag, an dem es nun tatsächlich losgeht. Die Rucksäcke sind gepackt. Unsere Sachen werden an einen sicheren Ort gebracht. Mit einem Transporter gelangen wir zum Ausgangspunkt der Wanderung. Noch einmal kurz Ausrüstung checken, einige Sachen umladen und dann geht’s los. Immer wieder schleicht sich Jens mit der Kamera durch die Meute und fängt die Stimmung ein. Johnny heftet uns zudem noch Funkmikros an den Kragen. „Da musste ja auch noch aufpassen was du sagst“ denken wir uns. Tatsächlich macht sich in uns eine Mischung aus Unsicherheit und leichter Verkrampftheit breit. Und die legt sich auch trotz der Anstrengung des ersten Anstieges nicht so wirklich. Völlig neue Situation. Also alles. Dafür ist aber die erste Etappe nicht ganz so lang und gut für den Einstieg. Wir kommen bereits zum frühen Nachmittag an der Bărcaciu-Hütte auf 1550 m an. Hier ist die Gruppe nun auch mit allen Helfern vollständig. Costin – unser lokaler Bergführer wird uns die ganze Tour lang begleiten. Ioan und Christian helfen tragen. Klingt komisch, doch wenn der Kameramann die riesige Kamera, der Tonmann das ganze Tonequipment und der Stativträger das riesige Stativ schleppen, muss es auch jemanden geben, der die Sachen der drei mitträgt. Einen Teil haben wir in der Gruppe aufgeteilt, den Rest nehmen die Träger. Plus Ersatzakkus, Kochzeug, etc. Es ist doch erstaunlich, was da so alles zusammenkommt.

 

Die Bărcaciu-Hütte gefällt uns richtig gut. Im großen Schlafsaal wird auf 2 Etagen jeweils ca. zu acht geruht, an zwei großen Tischen gegessen und am Kachelofen sich an kalten Tagen gewärmt. Die Hütte ist nicht unbedingt die neuste. Innen ist es sehr dunkel. Nur das Licht, was durch die kleinen Fenster nach innen scheint, erhellt den Raum. Strom für elektrisches Licht gibt es erst abends, wenn der Hüttenwirt den Generator anschaltet. Draußen gibt es ein Open-Air-Bad mit Freiluftdusche (die bei ausreichend Sonnenschein sicherlich auch warm ist) und verhältnismäßig ordentlichem Plumpsklo. Hinter der Hütte ist ein kleines Sägewerk. Echt cool. Auch die Versorgung ist top! Alpenrosentee wird in großen Biergläsern ausgeschenkt – genau die richtige Menge um den Durst zu stillen. Essen war lecker und das Bier hinterher auch. Nur die Fliegen nerven ohne Ende. Als hätten wir uns wochenlang nicht gewaschen, schwirren sie uns allen um die Köpfe. Kaum auszuhalten. Thorsten hält es dennoch für eine gute Idee, uns nochmal zu interviewen. Und so sitzen wir im Interview im Fliegenschwarm und versuchen uns arg zusammenzureißen, nicht völlig durchzudrehen. Wir hatten da so unsere Schwierigkeiten 😊

 

Die Nacht war überraschend ruhig. Zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich meine Oropax genutzt. Während Aileen die Dinger fast täglich braucht (Sie meint, dass irgendwer in unserem Zelt schnarcht – wahrscheinlich Willi..) sehe ich mich eher in der Aufpasserfunktion und wache lieber mehrmals auf, als völlig betäubt zu schlafen. Doch hier konnte ich mich nun auch mal akustisch „betäuben“. Hab tatsächlich nix gehört. Wach war ich trotzdem ständig. Weil ich nix gehört habe. Ein Aufpasser der nicht aufpassen kann. Blöde Macke…

Costin singt zum Aufwachen ein Lied. Großartig. Unsere erste Hüttenübernachtung könnte kaum schöner enden. Costin macht den Eindruck, als sei er schon seit zwei Stunden wach. Topfit und mit geölter Stimme. Wenige Momente später sitzen alle am Tisch und schaufeln das üppige Frühstück in sich hinein. Schnell kann ich mir den Ruf als Resteverwerter erarbeiten. Seitdem ich die Sache mit den Tütennudeln weiß, habe ich eine unterschwellige Angst am Berg zu verhungern. Also alles bunkern, was geht. Wir bekommen sogar Lunchpakete für den Weg. Große Erleichterung – dann kommen wir zumindest bis zum Mittag 😉

Wie sollte es anders sein: Es geht bergauf. Wir wollen ja auf den Kamm des Făgăraș-Gebirges. Es dauert nicht lang und die Baumgrenze ist erreicht. Statt Bäumen machen sich riesige Felder mit Alpenrosen, Enzian und anderen schönen blühenden Pflanzen breit. Der Bergfrühling ist in vollem Gange. Wir merken die schwere Kraxe heute schon deutlich mehr als gestern. Das Gewicht zieht ordentlich nach hinten. Dennoch können wir bergauf relativ problemlos das Tempo der Gruppe mithalten. Der Blick ist stets nach unten gerichtet und sucht nach neuen Tritten. Wollen wir uns umschauen, halten wir an. In der Gegend rumgucken und dabei laufen führt unweigerlich zum Sturz. Das Gelände wird allmählig schwieriger und steiler. Wir schwitzen ordentlich und erreichen nach einiger Zeit den ersten Sattel (Puha-Sattel). Knapp unterhalb des Sattels stehen zwei Biwak-Schachteln – Blechhütten, die dem in Not geratenen Bergsteiger als Unterschlupf dienen. Die ältere der beiden Hütten ist fast kniehoch mit Müll, alten Bierdosen und anderem Mist voll. Ein trauriger Anblick. In der neuen Biwak-Schachtel sah es aber zum Glück etwas aufgeräumter aus. Dennoch schade, was Menschen hier hochschleppen und dann in geleerter Form nicht schaffen weiterzutragen.

 

Tagesziel stellte die Negoiu-Hütte dar. Um dort hinzukommen kletterten wir erstmal auf den 2331 m hohen Șerbotă – unser erster Gipfel hier! Der Aufstieg war schon nicht ganz ohne – doch die Abstiegswege sahen noch komplizierter aus. Das sogenannte Kirchendach stand uns bevor. Grundsätzlich eine zwar anspruchsvolle, aber sehr schöne Kletterei meinte Costin. Kritisch ist jedoch unser Gepäck. Der normale Bergwanderer geht hier mit kleinem Gepäck von Hütte zu Hütte. Wir sind mit riesigen Kraxen und allerlei Technik unterwegs. Und dann turnen mit uns beiden noch zwei recht unerfahrene zwischendrin mit herum. Es wird entschieden, das Kirchendach zu umgehen, zur Negoiu-Hütte abzusteigen und auf der anderen Seite des Kirchendaches am nächsten Tag wieder aufzusteigen. Wir umgehen die Passage also. Meutz und Dieter sind die einzigen, die sich mit den schweren Rucksäcken über die Passage drüberkämpfen, um auf 2/3 des Weges einige schwere Sachen bereits zu deponieren. So müssen wir diese am nächsten Tag nicht wieder hier hochschleppen. Wir sind schwer beeindruckt, mit welcher Routine und Professionalität in der Gruppe pragmatische Lösungen entwickelt und kurzerhand umgesetzt werden. Während die beiden sich also mit schwerem Gepäck durch noch schwereres Gelände kämpfen, sitzen wir auf unserem Gipfel in der Sonne und essen Wurst. Eine lange Pause, bei der man in Anbetracht der Strapazen der beiden nicht so recht entspannen kann – und will.

 

Einige Zeit später sind Meutz und Dieter wieder da, schwärmen von genialen Kletterpassagen aber bestätigen auch die getroffene Entscheidung, dass wir mit unserem ganzen Gerassel dort nicht sicher durchgekommen wären. Wir geben den beiden noch eine Weile um durchzuatmen – dann geht’s runter zur Negoiu-Hütte. Ein elendig langer Abstieg. Und alle sind bergab wahnsinnig schnell. Nur Arne läuft mit uns relativ gemütlichen Schrittes zur Hütte hinab. Bergab haben wir noch so unsere Probleme zügig und zugleich sicher einen Schritt vor den anderen zu setzen. Sicher – ja aber zügig – nein… Letzten Endes kommen wir aber trotzdem irgendwie halbwegs gemeinsam an der Hütte an. Geschafft! Dagegen war die Wanderung vom Vortag ein Verdauungsspaziergang.

Auch die Negoiu-Hütte ist wieder recht rustikal, aber deutlich größer. Hat bisschen den Charme eines alten Ferienheims. Im Erdgeschoss ein großer Essensraum, in den beiden Geschossen darüber die Zimmer – jeweils Doppelzimmer. Fast jedes hat einen kleinen Kamin. Und selbst in den Toiletten steht ein Kamin! Zu essen gibt’s Suppe, zu trinken Bier. Uns gefällt’s gut! Zur Krönung des Tages hat Träger Ioan am Berghang gegenüber der Hütte noch einen Bären gesichtet. Fortan sind alle mit der Suche nach Meister Petz beschäftigt, doch der hat sich wieder verkrümelt.

 

Am nächsten Tag geht’s zeitig los. Wir müssen auf der anderen Seite des Tales wieder auf die gleiche Höhe wie am Vortag, von da aus die deponierten Sachen holen und dann weiter zum Negoiu-Gipfel aufsteigen. Gesagt getan. Die ersten Kilometer des Weges sind herrlich ausgebaut, fast schon klettersteigartig. Immer wieder gibt es wilde Holzbrückenkonstruktionen oder irgendwelche Stahlseile an denen man sich festhalten muss. Echt cool! Danach wird’s jedoch immer steiler und steiniger. Der Weg führt quasi durch ein riesiges Geröllfeld steil nach oben. Läuft sich bescheiden. Wir gelangen zum Cleopatra-Sattel und suchen uns eine windgeschützte Ecke um wieder zu rasten. Meutz, Dieter und Holger machen sich auf den Weg zum Depot – sie müssen noch das restliche Drittel des Kirchendaches bezwingen, um an die am Vortag deponierten Sachen zu gelangen. Das Gelände ist nicht weniger anstrengend als bei den ersten 2/3. Und wir? Wir essen schon wieder Wurst. Und wir halten natürlich die ganze Zeit Ausschau, wann die drei wieder auftauchen. Letzten Endes sind Meutz und Dieter die schwierige Kirchendachpassage durch die Transportiererei sogar zweimal gelaufen – großer Respekt!

 

Nach einer für unsere Verhältnisse viel zu kurzen Verschnaufpause für die drei geht’s weiter zum Negoiu-Gipfel – mit 2535 m Rumäniens zweithöchster Berg und der höchste Transsilvaniens. Der Moldoveanu ist lediglich 9 m höher. Der Aufstieg ist jedoch auch kein Kinderspiel. Viele Kletterpassagen rauben einem ganz schön die Kraft – für unsere Verhältnisse schon sehr anspruchsvoll – aber am Gipfel ist alles vergessen – Berg heil!

 

Beim Abstieg wird’s nun richtig spannend. Nebel ist aufgezogen, wir haben vielleicht noch 20 m Sicht. Dazu kommt noch, dass der reguläre Weg von riesigen Schneefeldern überdeckt ist. Den markierten Weg zu laufen wäre zu gefährlich. So werden neue Wege durchs Gelände gesucht und geeignete Querungsstellen durch die Schneefelder diskutiert. Wir werden mit Eispickeln ausgestattet. Einer geht vor und setzt die Tritte in den Schnee, alle anderen folgen. Ziemlich zu Beginn des Abstieges müssen wir jedoch erstmal gut 20 m senkrecht durch ein Schneefeld runter. Das ist mit dem blöden schweren Rucksack gar nicht so einfach. Thorsten geht vor und leitet mich an. Die ersten Schritte klappen ganz gut, doch so wirklich sicher stehe ich noch nicht. Und ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem Arsch und rutsche die nächsten Meter runter. Thorsten hat mir zum Glück vorher gesagt, wie man bremst, doch der Rucksack wirkt allein schon wie ein Anker im Schnee. Also neuer Versuch. Ein paar Schritte bergab. Immer schön die Hacken in den Schnee hauen. Bums. Da sitzt er schon wieder.. Aber es blieb dann auch bei 2 mal Ausrutschen. Aileen hat sich erheblich besser geschlagen. Weiter geht’s durch Geröll und dann durch ein riesiges Schneefeld. Dieter beruhigt an solchen Schneefeldern immer gern mit den Worten „Wenn du hier abrutschst brauchst du unten keinen Arzt mehr zu holen“… Das steigert auf jeden Fall nochmal das Konzentrationsvermögen. Der Hang ist relativ steil, das Schneefeld lang und endet im Geröll. Abrutschen sollte man da tatsächlich nicht. Die Jungs haben uns aber vorher ausführlich erklärt, wie wir sicher durch solche Schneefelder kommen. Höchst konzentriert setzen wir einen Schritt nach dem anderen. Ab und an riskiere ich einen Blick nach unten. Puh! Nur schnell weiter! Wie steil doch so ein Hang sein kann! Mit Skiern an den Beinen geht das deutlich einfacher.

 

Irgendwie hatten wir noch im Hinterkopf, dass es nach dem Gipfel nur noch runter zur Biwak-Schachtel geht und dann war‘s das für den Tag. Die Realität sah anders aus. Nach den Schneefeldpassagen ging es wieder hoch auf eine Art Sattel. Von hier sah man in der Ferne bereits den Calţun-See und die Biwakschachteln. Aber dafür mussten wir noch mindestens 200 m absteigen. Eher abklettern, denn der Weg führte ausnahmslos über riesige Felsbrocken. So bewegen wir uns teilweise mehr auf allen vieren als auf zwei Beinen ins Tal. Der Abstieg kostet nochmal richtig Kraft und Zeit. Schließlich kommen wir aber am Abend an der Calţun-Biwak-Schachtel an. Wir haben hier eine Sondergenehmigung der Bergwacht, dass wir in der kleinen Hütte übernachten dürfen – auch ohne Notfall. Das ist wirklich genial! Die Hütte ist noch kein Jahr alt. Innen riecht es noch nach frischem Holz. Es gibt einen „großen“ Gemeinschaftsraum mit je acht Liegeflächen auf zwei Bett-Etagen, davor ein großer Tisch und in der Ecke eine Kochnische. Im kleinen Nachbarraum finden noch einmal 3 oder 4 Leute Platz – vorgesehen für die Leute der Bergrettung.

Meutz macht sich umgehend daran, mit mehreren Gaskochern parallel heißes Wasser zu erzeugen. Draußen ist inzwischen ein zorniger kalter Wind aufgezogen, so dass wir alle etwas warmes zu Trinken und so eine köstliche Tütensuppe gut vertragen können. Keine Delikatesse, aber zur Not geht das schon mal. Doch eine Delikatesse haben wir noch zu bieten. Wir haben noch unsere 0,5 L – Flasche Palinca von Silvia aus Jibou. Die haben wir extra für einen solchen Moment mitgenommen und können nun brüderlich mit allen teilen. Wollte uns erst keiner glauben, dass wir die ganze Zeit eine Pulle Schnappus mit uns herumschleppen… Doch die Freude war bei allen sehr groß! Punkt um 9 liegen dann alle schon im Schlafsack. Draußen pfeift der Wind und rüttelt ordentlich an der Hütte. Doch wir fühlen uns eigentlich sehr wohl und sicher.

 

Der nächste Morgen startet wie der letzte Abend aufhörte. Kein Palinca, dafür aber wieder köstlichste Tütensuppe. Während die am Abend noch ganz gut genießbar waren, musste ich mich am Morgen schon ganz schön zusammenreißen, mir noch so eine Portion reinzuleiern. Aber essen müssen wir etwas und Alternativen gibt es nicht wirklich. Arne und Holger haben Müsli mit und essen das mit Wasser. Das haben wir in der Tschechei zum letzten Mal probiert. Dann doch lieber Suppe.

Nach dem Frühstück wird zusammengepackt. Aufbruch. Mal eben noch auf den 2390 m hohen Lăiţel gekraxelt und schon geht’s runter zum Bâlea Lac. Natürlich ist Nebel, sodass wir immer nur fragmentweise den Bâlea-See, die Hütten und die Transfăgărășan-Hochstraße im Dunst durchschimmern sehen. Erst als wir unten sind, klart es etwas auf. Teil 1 geschafft! Wir wohnen in der Cabana Paltinu, die Hütte, die Exdiktator Ceausescu nach dem Bau der Transfăgărășan in den 1970er Jahren als Urlaubs- und Jagddomizil dienen sollte. Geschlafen hat er hier jedoch nie. Sein Zimmer durften wir später trotzdem besichtigen, aber erstmal gönnten wir uns ein Ankunftsbier.

 

Nach einem Pausentag in Ceausescus alter Bude brechen wir bei Zeiten in Richtung Moldoveanu auf. Direkt nach der Hütte geht’s gleich mehrere hundert Höhenmeter zackig bergauf. Oben auf dem Sattel verabschieden wir uns dann von Arne. Sein Urlaub ist leider zu Ende und so muss er wieder zurück. Die Verabschiedung wird aber nochmal ordentlich zelebriert. Arne hat einen Oybiner Kräuterschnaps von zuhause und einen Kräuterschnaps hier aus Rumänien dabei. Außerdem hat er sich erlaubt, in Ceausescus Bude die Küche zu plündern und so darf jeder aus einem originellen Keramikbecherchen trinken. 1a! Schade, dass er geht. Wir haben von ihm noch gute Reisetipps für Georgien bekommen. Da war er auch schon. Aber ohne Robur. In Arnes Sprachgebrauch soll es dort „auch gar nicht mal so schlecht“ sein. Er neigt zu Untertreibungen, was wir an ihm sehr mochten. Nach einer langen Verabschiedung geht’s nun weiter. Neu im Team ist seit dem Bâlea Lac nun aber dafür Andreas – der Biwak-Chef. Er ist aus Deutschland nachgereist, um mit uns den zweiten Teil der Tour zu gehen.

 

Die Etappe wurde als besonders anstrengend und lang angekündigt. Viele Schneefelder galt es wieder zu queren. Wir kommen immer besser damit zurecht. Vom eigentlichen Weg ist auch hier über weite Strecken nichts mehr zu sehen, sodass wir versuchen die Schneefelder an günstigen Stellen zu queren und uns selbst einen Weg im Gelände suchen. Geht sehr gut. Zwei Gipfel folgen unmittelbar aufeinander. Der 2468 m hohe Arpaşul Mare steht etwas abseits, aber da die Gruppe sowieso gerade pausiert, gehe ich die paar Schritte noch bis zum Gipfel hoch. Über den zweiten Gipfel, den 2470 m hohen Mircii geht der Weg direkt drüber. Dass der Weg dann doch etwas Kraft gekostet hat, merken wir am Wasserverbrauch. Keiner hat noch großartig viel Wasser in seiner Flasche. Wird Zeit, dass wir mal an eine Quelle kommen – dauert am Ende auch nicht mehr lange. Welch eine Erfrischung!

 

Wieder hangelt sich der Weg spektakulär am Hang nach oben. Wir gelangen zum Podragului-Sattel. Vor uns erstreckt sich ein riesiger Felskessel mit einem großen und einigen kleineren Seen. Dazwischen die Podraguhütte. Durch ihr steingraues Äußeres kaum zu erkennen- wirkt sie von Weitem mit ein wenig Phantasie wie ein verwunschenes Märchenschloss. Gegen 5 sind wir da. Die Hüttenwirtin ist selbst erst am Vortag mit ihren Packeseln hier angekommen. Sie hat extra für uns eher geöffnet. Das ist auf jeden Fall sehr nett, hat aber insbesondere zur Folge, dass es in der Cabana noch recht frisch ist. Wir entscheiden uns, draußen zu essen, denn dort ist es mit gut 10 Grad definitiv mindestens doppelt so warm wie drinnen. Innen ist alles kühl und klamm. An den neuen Fenstern sammelt sich das Kondenswasser. Etwas zu gut abgedichtet. Die Feuchtigkeit kann nicht mehr raus und so entstehen Stockflecken. Aber drei Leute in weißen Ganzkörperanzügen sind auch schon fleißig dabei alles neu zu streichen. Denen ist auf jeden Fall nicht kalt. Wir können es unterdessen immer noch nicht fassen, dass drinnen der Atem kondensiert, während man es draußen eigentlich noch ganz gut aushält. Aber das sollte sich ändern.

 

Der Folgetag war als Pausentag angesetzt. Dichter Nebel und Regen machen ein Weitergehen zu einem gefährlichen Unterfangen. Also sitzen wir das Wetter eben aus. Ein 18-Bett-Zimmer ist nun unser Zuhause. Doppelstockbetten aus Metall, immer zwei Nebeneinander. Wenn sich also in den vier verbundenen Betten einer mal umdreht, schwankt das ganze Bett. Wir haben zum Glück einen Platz am einzigen Fenster ergattert. Auch hier sammelt sich die feuchte Atemluft der gesamten Gruppe. Die Luft im Raum ist nicht besonders delikat, dafür aber wärmer als im restlichen Haus. Wobei … die drei „Malermeister“ wurden von der recht dominant auftretenden Hüttenwirtin schon wieder mit Pinseln bewaffnet. Mit übelst stinkenden Acryllack muss ausgerechnet jetzt der Gang vor unserem Zimmer gepinselt werden. 1x am Morgen, 1x abends vor dem Schlafen gehen. Alles stinkt nach Farbe. Da es erst ab Nachmittag regnet, kann man sich draußen wenigstens noch ein bisschen beschäftigen. Holger macht mit Aileen und Andreas Yoga am See, ich gucke mir unterdessen die wilden Müllkippen hinter der Hütte an. Kein schöner Anblick und ein Punkt, den es hier noch zu verbessern gilt.

Mit einsetzendem Regen können wir eigentlich nur noch in der Hütte rumhocken. Mit Regensachen rausgehen ist Mist, weil die in der Hütte nie wieder trocken werden. Die Hütte wird nämlich auch nicht geheizt. Die Öfen seien wohl kaputt. Nur der Küchenofen geht. Aber gekocht wird trotzdem nur auf einem 2-Flammen-Campingkocher. Auch das Teewasser. Wir warten eine gefühlte Ewigkeit auf eine Menge heißes Wasser, die dann meist gerade so nicht reicht. Das ist schon eine lustige Bude hier. Holger bringt uns Backgammon bei, Aileen lehrt mich außerdem die Grundzüge des Schachspielens – so viel Zeit wie hier, hatten wir während unser gesamten Reise noch nicht. Mehr Brettspiele gibt es nicht, aber wir sind sehr dankbar, dass es überhaupt welche gibt. Wir haben am Bâlea Lac noch einmal das Gepäck reduziert. Mein Tagebuch habe ich nun nicht mehr mit dabei, dabei wäre hier so schön Zeit zum Schreiben gewesen. Mist!

 

Der nächste Tag ist noch schlechter. Dauerregen, teils Schneeregen. Wir bleiben einen weiteren Tag! Alle drehen schon ein bisschen am Rad, was am Abend darin gipfelt, dass wir Wettbewerbe im Tischklettern (1x um den Tisch klettern ohne Bodenkontakt) sowie im Tischspringen (aus dem Stand auf den Tisch hopsen) durchführen. Was für ein Spaß.

 

Als der darauffolgende Tag auch kein wesentlich besseres Wetter zu bieten hat, muss eine Entscheidung her. Immer noch ist draußen dichter Nebel. Dieter ist am Morgen bereits auf die nächste Anhöhe geklettert (nur dort war für uns Empfang) und hat den Wetterbericht eingeholt. Es soll zwar besser werden, doch Costin meint, dass es sich hier oben immer deutlich länger hält. Noch dazu weiß keiner, was uns oben auf dem Gipfel erwartet. Stehen wir dort knietief im Schnee? Und dann? Filmen wir den Gipfel im dichten Nebel? Und wie sieht der Abstieg aus? Costin meint, der Abstieg verläuft primär im Wiesengelände, was nun nach 2 Tagen Regen ordentlich aufgeweicht sein dürfte. Irgendwo im Wald sollte uns dann ein Transporter abholen und ganz runterbringen. Doch kommt der überhaupt so weit in den Wald? Eher unwahrscheinlich. Nach langem Hin und Her ist eine Entscheidung gefallen. Wir steigen ab. Direkt und nach Norden. Schade, aber wahrscheinlich sicherer so.

 

Beim Abstieg wurde es dann aber auch nochmal spannend, denn der starke Regen hat eine Brücke weggespült und so lernen wir die letzte Lektion: Flussquerung mit Seil. In Unterhose und Sandalen hangelt sich einer nach dem anderen am vorher von Thorsten, Meutz und Costin gespannten Sicherungsseil entlang. Eiskaltes Wasser drückt mit mächtigen Druck gegen die Oberschenkel. Der Puls steigt, doch wir kommen alle sicher ans andere Ufer. Der Rest des Weges ist deutlich besser begehbar. Auch wird es zunehmend wärmer. Wir sind wieder unten. Was für eine Tour!

 

Zur Entspannung geht’s nun nochmal zum eigentlich geplanten Ziel – dem Lacul Vidraru in ein schickes Hotel. Hier laufen abends die Bären draußen rum. Unfassbar. Jens und Thorsten haben sogar einen mit der Kamera einfangen können.

 

Und so endet unser gemeinsamer Biwak-Trip. Für uns ein riesen Abenteuer und eine richtig geile Tour! Wir haben wirklich viel gelernt und sind sehr dankbar, dass wir Teil dieser Expedition sein durften und auch schon Pläne fürs kommende Jahr schmieden konnten (@Johnny und Jens: wir freuen uns auf schöne Skitouren mit euch!). Nun heißt es aber wieder Sachen umpacken, Fahrräder aufsatteln und über die Transfăgărășan in den Süden und zum Schwarzen Meer. In Burgas soll die Fähre nach Georgien starten. Na wir sind mal gespannt!

 

Für euch heißt es ab 14.08.2017 jeden Abend 19:50 im MDR das Biwak-Magazin gucken. Dort gibt’s das ganze Abenteuer „Mit Rucksack und Robur nach Rumänien“ in bewegten Bildern zu sehen und wir sollten ab und an auch mal durchs Bild huschen 😊

Ein besonderes Dankeschön geht an Holger Lieberenz. Er hat die gesamte Tour in schönen Fotos festgehalten und so stammt ein Großteil der hier gezeigten Fotos von ihm.

Nicht zu vergessen: Liebe Anne, auch dir möchten wir ganz herzlich danken für das Ausleihen deiner Kraxe!!! :-*

Bis bald,

Eure Bergziegen

Fagaras (102 von 119)
Gruppenbild. Holger, Costin, Ioan, Andreas, Lars, Jens, Thorsten, Frank (Meutz), Dieter, Aileen, Johnny, Marius (Foto: Wieder die Kamera von Holger Lieberenz, da dieser schon wieder auf dem Bild ist 🙂 )
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6 Kommentare zu „Mit BIWAK ins Făgăraș-Gebirge

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  1. Ein riesiges Dankeschön für Euren Bericht über Euer Bergabendteuer sagen Euch von ganzem Herzen Oma u. Opa aus Beeskow. Gott sei Dank seid Ihr gesund zurück. Wir können uns aus eigenen Erfahrungen vorstellen, welche Anstrengung dahinter steckt auf den einzelnen Etappen der Krachseltouren. Über das weitere Weiterkommem sind wir schon gespannt. Von Papa wissen wir über die nichtfahrende Fähre von Bulgarien. Hoffentlich klappt es nun von Odessa aus. Wir wünschen ein gutes Weiterkommen ohne große Unannehmlichkeiten, haltet die Augen offen und passt gut auf Euch auf. Liebe Grüße von Opa und Oma.

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  2. Na ein großes Hallo Ihr Bergesel. Schön das Ihr wieder heil unten seid. Respekt, da habt Ihr ja ganz schön was geleistet.Die Bilder sind ja einmalig schön und vermitteln auch uns hier viele Eindrücke von Eurer Tour. Wir sind schon sehr gespannt, Euch ab 14.08. 2017 im MDR zu sehen.Doch bis dahin habt Ihr ja noch viele Herausforderungen zu meistern, die Ihr Euch ja bewusst aussucht.Wir wünschen Euch Rückenentlastung durch Umverteilung der Lasten auf Eure „leichten“ Räder und keine Tütensuppen mehr,lieber frische Bratkartoffeln:-) Kommt gut über das Schwarze Meer und fahrt weiter sicher Richtung Kaukasus. Viel Glück und gute Fahrt, passt auf Euch auf. Alles Gute aus der Heimat von Anke und Papa
    PS: Vergesst Euer Bergfest nicht zu feiern!!!!!

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  3. Sooooo viel zu lesen ! Sehr interessant und kurzweilig. Ich bin froh, dass Ihr unbeschadet wieder abgestiegen seid, denn so eine Tour birgt natürlich etliche unerwartete Situationen. Ganz großen Respekt 👍👍 Und zusammen mit dem gut ausgerüsteten, tollen Team von Biwak wird diese abenteuerliche Alpinwanderung eines der vielen bleibenden Erlebnisse sein. Und vielen Dank für die schönen Fotos ! Ich wünsche Euch gute Weiterfahrt !

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  4. Großartig geschrieben, Ihr Zwei 🙂 Da hoffen wir mal, dass wir mit unserer Filmreportage dann auch halbwegs mit-halten und die Neugierde Eurer „Follower“ und Fans befriedigen können… Strampelt mal fleißig weiter, wir schwitzen solidarisch im Schnitt… War toll mit Euch! Bis bald – ab 14. August auf dem Bildschirm…
    Thorsten und das gesamte BIWAK-Team vom MDR

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