Wir sind jetzt also wieder da, wo jeder Wind einen Namen hat. Sturm Herwart signalisiert uns mehr als eindeutig, dass wir hier falsch sind. Wir wissen sofort, was wir nicht vermisst haben… Nass-kaltes Dreckswetter.
Bereits im Flughafen Berlin Tegel, wo wir in einer ruhigen Ecke unsere Räder wieder fahrtauglich machen, überkommt uns ein erster Kulturschock. Unseren Augen inzwischen ziemlich fremd sind die vielen sehr übergewichtigen Menschen, die auf uns wie ein Sinnbild des Wohlstandes wirken, obwohl sie selber dabei gar nicht mal so wohlhabend aussehen. Je weiter östlicher wir kamen, umso schlanker wurden die Leute. Das Essverhalten der Leute, die nun im Flughafenbistro des Berliner Flughafens um uns herumsitzen, erinnert eher an Völlerei. Auch ist es komisch, nach 7 Monaten nun wieder jedes noch so belanglose Gespräch verstehen zu können…
Der nächste „Schock“ wartet vor der Tür. Nicht das schlechte Wetter. Nein, das haben wir tatsächlich irgendwie aussitzen können und schaffen es trocken aus Berlin heraus. Der Verkehr überrascht uns. Wir sind inzwischen gewohnt, dass wir trotz Gegenverkehr und mangelnder Sicht stets sehr dicht und mit hohem Tempo überholt werden. Innerorts wie außerorts. Alle hupen wie die blöden. Und hier? Hier wird gebremst und gewartet bis frei ist. Keiner drängelt, keiner hupt, alle verhalten sich sehr zurückhaltend… Freilich nicht immer, aber doch irgendwie fast immer. Wir müssen schmunzeln. Deutsche Autofahrer sind keine Draufgänger. Zum Glück nicht! Die edlen Karossen sind selten älter als 10 Jahre. Wir haben ja unterwegs immer mal deutsche Nachrichten geschaut und dachten jedes Mal, wenn wir Bilder vom deutschen Verkehr irgendwo sahen „Meine Fresse, da weißt du sofort, warum alle denken, dass wir daheim im Geld schwimmen“. Ein Blick auf die heimischen Straßen zeigt, wie gut es uns offenbar geht. Auf uns wirkt das nach dieser langen Zeit irgendwie recht befremdlich.
Wir verbringen nach der äußerst langen Flugnacht, noch eine Nacht in fester Unterkunft. Eigentlich wollten wir irgendwo hinter Potsdam zelten, doch so weit kommen wir leider nicht und die Überreste von Sturm Herwart laden nun auch nicht unbedingt zum Zelten im Wald ein. Über Warmshowers klappt natürlich wie immer nichts spontan. So buchen wir über Booking.com die billigste Unterkunft Potsdams. Ein weiteres Mal werden wir dabei geerdet. Die Hütte kostet für eine Nacht mehr als 5 Nächte in Almatys Stadtzentrum. Bei etwa gleichem Standard. Es wird tatsächlich die teuerste Übernachtung der gesamten Reise. Wir ärgern uns.
Wir steuern geradewegs Richtung Südwesten. Der schmale Grasstreifen neben der Straße ist gesäumt von Kräutern und Blümchen, während der riesige grüne Acker nebenan nicht ein einziges Unkraut aufweist. Das ist krass. Glyphosat lässt grüßen – Guten Appetit.
Schließlich besuchen wir meine Tante und meinen Opa in Buro bei Coswig, machen nochmal einen Tag Pause und radeln von da aus mit einem weiteren kleinen Umwegschlenker entlang der Elbe dann doch gen Leipzig. So richtig ankommen wollen wir eigentlich nicht, aber nützt ja alles nichts. Kurz vor Leipzig kommt uns dann auch noch ein ordentlich bepackter Reiseradler entgegen. Olli nimmt sich in seiner äußeren Erscheinung nicht viel von den Fernradlern, die wir anderswo auf der Welt getroffen haben – nur dass seine Tour nicht ganz so lang ist – immerhin Frankfurt/ Main – Berlin. Und wie sich das gehört, wird angehalten und sich ausgetauscht 😊
So. Und nun sind wir nach 216 Tagen wieder da. Zum ersten Mal nach dieser Zeit unsere Wohnung zu betreten hat irgendwie etwas Magisches. Wir spüren sofort „hier sind wir richtig“. Die Wehmut über das Ende unserer Reise schwingt dennoch stark mit. Wir haben uns die letzten sieben Monate doch sehr an dieses Nomadenleben gewöhnt. Kein Tag war wie der andere. Nichts war geplant, alles kommt wie es kommt. Wir wussten nie, wo wir am Abend landen würden und was uns dort erwartet. Je widriger und unvorhersehbarer die Umstände wurden, umso mehr fühlten wir uns frei. Wir vereinfachten unseren Lebensstil, wurden bescheidener und haben noch mehr zu schätzen gelernt, uns über die kleinen Dinge des Lebens zu freuen. Über eine nette Einladung am Abend. Oder zumindest einen Bach mit klarem Wasser.
Sicher.. wir reisen mit recht guter Ausrüstung. Zelt, Kocher, Wasserfilter und ein bisschen funktioneller Kleidung, dazu gute Räder. Wir haben unsere Ausrüstung zusammengestellt, um fürs Wesentliche gewappnet zu sein und das waren wir letztlich auch. Wir haben aber auch andere Radler getroffen, die mit weit weniger Ausrüstung klargekommen sind. Aber auch die Leute, die wir besuchten, mussten nicht selten mit weniger auskommen, als wir unterwegs dabei hatten – wobei diese in ihrer Situation nicht unzufrieden erschienen. Wir machen uns jedenfalls Gedanken über sowas, hinterfragen mehr und mehr Sinn und Unsinn des vielen Konsums. Unsere teure, aber auch treue Ausrüstung wollen wir zwar auch nicht mehr hergeben, aber viel mehr braucht‘s zum Leben dann aber auch nicht. Wir haben sehr viel gelernt und noch viel mehr Inspiration gesammelt und mit nach Hause getragen. Und … wir haben uns eine Meinung gebildet. Eine Meinung über so vieles, was uns unterwegs begegnet ist. Gastfreundschaft, Vorurteile, Religionen, Konsum, Tourismus, die Definition von Armut, Umweltschutz, …
Jetzt – gute 3 Wochen nach unserer Ankunft in Deutschland – sind wir erschreckend schnell schon wieder richtig „drin“ im Leben. Sieben Monate sind dann irgendwie auch wieder so kurz, dass man sich doch nicht völlig ausklinkt und die Eingewöhnung entsprechend schnell von statten geht. Die Entspanntheit hält sich zum Glück aber noch. Tobias hat die Stellung bei uns daheim gehalten und unsere Post gesammelt. Haben wir vor unserer Tour noch bei dem einen oder anderen Outdoor-Versandhändler die ein oder andere Sache kurzfristig geordert, erinnert nun ein erschreckend großer Haufen Katalog-Müll auf unserem Tisch daran, dass wir fleißig weiterkaufen sollen, um auch weiter die Natur erleben zu können. Da fragt man sich …
Aber genug der trüben Worte – jetzt gilt es erstmal die sozialen Kontakte wieder zu pflegen. Von Zeit zu Zeit werden wir uns dann wohl auch mal durch unsere Bilder wühlen. Knapp 23.000 sind das tatsächlich geworden. Und ab und an auch mal einen Blick in ein Video werfen. 29 Stunden Videomaterial insgesamt. Wir sind zwar skeptisch, dass wir daraus tatsächlich so etwas wie einen Film zustande bringen. Aber wer weiß… Wir werden euch hier auf jeden Fall auf dem Laufenden halten. Wird sich wohl aber noch ein, zwei Wochenenden hinziehen 😉.
Sofern ihr das noch nicht getan habt, abonniert doch einfach unseren Blog per Mail und dann bekommt ihr auch eine Nachricht, wenn wir als erfolgreiches Vortragsteam mit unserer Multivisionsshow auf großer Stadiontour durch Europa sind. Oder auf Kneipentour. Wie auch immer… 😊
Bis dahin müsst ihr euch damit begnügen, den Blog nochmal durchzulesen. Ist ja doch ne ganze Menge Stoff… Alternativ könnt ihr uns auch nochmal bei Biwak sehen: http://www.mdr.de/mediathek/fernsehen/a-z/biwak102_zc-ca8ec3f4_zs-73445a6d.html
Wir danken allen, die wir unterwegs getroffen haben, dass Sie für uns diese Reise zu dem gemacht haben, was sie letzten Endes war: Das Beste was wir je gemacht haben! Und wir danken euch, die ihr immer uns hier im Blog und auf unserer Karte gefolgt seid, womöglich sogar mitgefiebert und uns mental, wie auch mit lieben Kommentaren unterstützt und noch mehr motiviert habt! Ihr seid alle großartig!
Für uns wird es auf jeden Fall nicht die letzte Reise gewesen sein… Ideen haben wir. Ziemlich konkrete sogar. Und natürlich nehmen wir euch auch wieder mit 🙂
Liebe Aileen, lieber Lars!
Danke für den letzten Bericht Eurer Reise. Es hat uns große Freude gemacht immer etwas Neues von Euch zu höhren, haben mit Neugier und Spannung auf die toll geschriebenen Berichte gewartet. Alles Gute für Euch, bleibt schön gesund. Bis auf baldiges Wiedersehen mit lieben Grüßen von Oma und Opa aus B.
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Hallo, ich habe erst in den letzten Wochen über die Biwak Sendung euren Blog gesehen. Ein wenig kann ich eure Reise nachfühlen, denn meine Frau und ich haben eine ähnliche Reise gemacht, nur ganz woanders, in Patagonien. Und am Ende unseres Diavortrages haben wir auch geschrieben : nach der Reise ist vor der Reise. Jedenfalls wird es diese geben. Wir sind infiziert. Und sie wird wohl von Dresden nach Osten führen. Auch deshalb habe ich eure Berichte mit großem Interesse gelesen. Gutes Einleben zu Hause! Reinhard
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Das waren wirklich tolle Berichte! Lasst euch von den Erlebnissen, Erfahrungen und Träumen treiben. Lasst euch auf keinen Fall von der Eile treiben. Die holt euch schnell genug ein 😉
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